Unbegrenzte Übertragung und Ansammlung von Urlaubsansprüchen

  • von Annekatren Waldschmidt
  • 08 Dez., 2017

EuGH stärkt Recht auf bezahlten Erholungsurlaub

Der Europäische Gerichtshof (EuGH) hat in einem Grundsatzurteil das Recht auf bezahlten Erholungsurlaub gestärkt (Urteil vom 29.11.2017, Rs. C-214/16; www.curia.europa.eu). Danach können Beschäftigte unter Umständen auch über viele Jahre hinweg Urlaubsansprüche übertragen und ansammeln. Besondere Brisanz bekommt die Entscheidung nicht zuletzt vor dem Hintergrund einer anderen noch ausstehenden EuGH-Entscheidung  (Vorlage des Bundesarbeitsgerichts [BAG] an den EuGH vom 13.12.2016, Az. 9 AZR 541/15 (A); www.bundesarbeitsgericht.de).
Nach deutschem Arbeitsrecht verfällt der Anspruch auf Erholungsurlaub grundsätzlich, wenn er nicht im laufenden Kalenderjahr beantragt, gewährt und genommen wird. Lediglich aus dringenden betrieblichen oder dringenden persönlichen Gründen, wie z.B.  wegen termingebundenen Aufträgen oder Arbeitsunfähigkeit, darf der Urlaub auf das Folgejahr übertragen werden und verfällt, wenn er nicht spätestens bis zum 31. März gewährt und genommen wurde (§ 7 Abs. 3 BUrlG). Der Arbeitgeber muss für derartigen Resturlaub in seiner Bilanz Rückstellungen bilden und haftet unter Umständendem Arbeitnehmer mit dreijähriger Verjährung auf Schadenersatz, wenn er dem Arbeitnehmer den Resturlaub nicht gewährt und der Resturlaub daher verfällt. 

Nach der bisherigen Rechtsprechung des EuGH und Bundesarbeitsgericht (BAG) gab es einen Ausnahmefall lediglich dann, wenn der Arbeitnehmer langfristig erkrankt war und deshalb den Urlaub nicht nehmen konnte. Allerdings verfällt der Urlaubsanspruch dann spätestens 15 Monate nach Ablauf des Urlaubsjahres (vgl. BAG, Urteil vom 07.08.2012, Az. 9 AZR 353/12; www.bundesarbeitsgericht.de). Folglich werden Arbeitgeber bei langanhaltender Krankheit von Beschäftigten vor unendlicher Übertragung und Ansammlung von Urlaubsansprüchen geschützt.

Demgegenüber hat der EuGH jetzt am 29.11.2017 entschieden, dass in bestimmten anderen Fällen der Urlaub unbegrenzt übertragen und angesammelt werden kann und Arbeitgeber somit anders als bei langanhaltender Krankheit von Beschäftigten nicht geschützt sind. Im entschiedenen Fall ging es um einen Verkäufer, der dreizehn Jahre lang auf Selbstständigen-Basis und ohne Vereinbarung über bezahlten Urlaub für einen Auftraggeber gearbeitet hatte. Als das Unternehmen ihm kündigte, verlangte der Verkäufer die Zahlung einer Vergütung sowohl für genommenen, aber nicht bezahlten, als auch für nicht genommenen Jahresurlaub im gesamten Zeitraum seiner Beschäftigung. Der EuGH gab ihm Recht. 

Zunächst wurde der Verkäufer als Scheinselbstständiger eingestuft, also als Arbeitnehmer. Des Weiteren betonte der EuGH, der Anspruch auf bezahlten Jahresurlaub bezwecke die Erholung und Entspannung des Arbeitnehmers. Dieser Zweck werde aber nicht erreicht, wenn sich der Arbeitnehmer nicht sicher sein könne, ob er den Jahresurlaub vergütet bekommt oder nicht. Die nicht gesicherte Vergütung führe dazu, dass der Arbeitnehmer im Urlaub nicht entspannen könne und außerdem sogar davon abgehalten werden kann, überhaupt Urlaub zu nehmen. Jede Praxis oder Unterlassung eines Arbeitgebers, die eine derartige abschreckende Wirkung haben könne, verstoße aber gegen das mit dem Recht auf Jahresurlaub verfolgte Ziel. Außerdem dürfte der Arbeitnehmer nicht gezwungen werden, zunächst unbezahlten Urlaub zu nehmen und dann die Bezahlung einzuklagen. 

Mit dieser Begründung befürwortet der EuGH, dass Arbeitnehmer ihre Urlaubsansprüche unbegrenzt übertragen und ansammeln können. Anders als bei langzeitkranken Arbeitnehmern müsse der Arbeitgeber auch nicht durch eine zeitliche Begrenzung der Übertragung und Ansammlung geschützt werden. Schließlich habe der Arbeitgeber davon profitiert und sei unrechtmäßig dadurch bereichert worden, dass der Arbeitnehmer ohne Urlaub weitergearbeitet habe. Es obliege dem Arbeitgeber, sich umfassend über seine Verpflichtungen im Bereich des bezahlten Jahresurlaubs zu informieren und den Arbeitnehmer in die Lage zu versetzen, seinen Anspruch auf bezahlten Jahresurlaub auszuüben. Tue der Arbeitgeber dies nicht, müsse er die damit verbundenen Folgen tragen. 

Damit ist die generelle Frage aufgeworfen, ob Arbeitnehmer, die nicht aufgrund Krankheit am Urlaub gehindert sind, Urlaubsansprüche unbegrenzt übertragen und ansammeln können. Deutsche Arbeitgeber könnten künftig insbesondere dazu verpflichtet sein, aus betrieblichen Gründen nicht gewährten und genommenen Urlaub zeitlich unbegrenzt - also womöglich auch ohne die angesprochene dreijährige Verjährung - zu gewähren bzw. abzugelten. Außerdem könnten deutsche Arbeitgeber künftig gehalten sein, ihre Arbeitnehmer auch ohne deren Urlaubsantrag aktiv zum Nehmen des Jahresurlaubs zu veranlassen. Darauf weist die Formulierung des EuGH hin, der Arbeitgeber müsse den Arbeitnehmer in die Lage versetzen, seinen Urlaubsanspruch auszuüben. Klarheit dürfte eine anstehende Entscheidung schaffen, die der EuGH wegen einer Vorlage des BAG fällen muss (Az. 9 AZR 541/15; www.bundesarbeitsgericht.de). Denn im Zentrum der Vorlage steht die Frage, ob ob Arbeitnehmer ihren Urlaub aktiv beantragen müssen, oder ob die Arbeitgeber ihre Arbeitnehmer zum Urlaubnehmen anhalten müssen. 

Fazit: Die jüngste EuGH-Entscheidung veranlasst Unternehmen abermals dazu, darauf zu achten, dass Freelancer nicht als Scheinselbstständige eingestuft werden. Aber sie geht über die Frage der Scheinselbstständigkeit hinaus und betrifft sämtliche Arbeitnehmer eines Unternehmens. Die weitere Rechtsprechung sollte daher sehr aufmerksam verfolgt werden. Um bestehende Risiken zu begrenzen, können Arbeitgeber von ihrem Recht Gebrauch machen, Urlaub einseitig anzuordnen. Besteht eine Betriebsvereinbarung zur Urlaubsvergabe, die keine einseitige Anordnungsmöglichkeit vorsieht, sollte überlegt werden, eine entsprechende Anpassung der BV Urlaubsvergabe auszuhandeln. 
von Annekatren Waldschmidt 13. Februar 2018
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von Annekatren Waldschmidt 9. Februar 2018
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